Wangen Turm
Landesgartenschau in Wangen im Allgäu 2024
Eingebettet in die eindrucksvolle Landschaft des Westallgäus ist der Wangen Turm ein architektonisches Wahrzeichen und ein wegweisender Holzbau für die Landesgartenschau 2024. Basierend auf der Forschung des Exzellenzclusters „Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur (IntCDC)“ der Universität Stuttgart ist der Turm die erste in voller Höhe begehbare Struktur, die tragende selbstformende Holzbauteile verwendet. Die charakteristische Form dieses einzigartigen Holzbauwerks ist Ausdruck einer neuen, aus natürlich nachwachsenden, lokal verfügbaren und regional verarbeiteten Materialien bestehenden Architektur. Diese Innovation im Holzbau wird ermöglicht durch die Integration von Forschung, materialgerechter und computerbasierter Planung, digitaler Fertigung und qualifiziertem Handwerk.
Ein architektonisches Wahrzeichen und wegweisender Holzbau
Der Turm verbindet als architektonisches Wahrzeichen das Landesgartenschau-Gelände im Argen-Tal mit den sanften Hügeln der umliegenden Landschaft. Am Boden ergeben sich die Turmeingänge aus den sich zu drei Seiten elegant öffnenden Holzflächen, die einen einladenden Raum freigeben, der sich dem Fluss Argen und der sanft gerundeten Spitze des benachbarten Drumlins, eines eiszeitlich geformten Hügels und Zeugnisses der voralpinen Gletschergeschichte der Region, zuwendet. Innen bietet der Turm durch die spiralförmig aufstrebende Holzstruktur ein einzigartiges Raumerlebnis, das durch das Spiel von Licht und Schatten auf den gekrümmten Holzflächen noch unterstrichen wird. Der Aufstieg über die 113 Stufen zur Aussichtsplattform bietet eine visuelle und haptische Verbindung zur Materialität der innovativen Holzstruktur des Turms. Beim Austritt auf die transparente Aussichtsplattform ergibt sich ein beeindruckender Blick auf die umliegende Landschaft. Mit seiner geschwungenen Oberkante kuratiert der Turm die Blickbeziehungen zu verschiedenen kulturellen- und landschaftlichen Merkmalen und rahmt dabei die Aussicht auf die mittelalterliche Stadt Wangen und die Argen-Auen, während er zugleich ein atemberaubendes Panorama auf die Alpen eröffnet.
Die 23 Meter hohe, neuartige Konstruktion des Turms besteht aus 12 tragenden, gebogenen Brettsperrholzsegmenten (BSP) mit einem Querschnitt von nur 130 Millimetern. Die globale Geometrie des Turms, kombiniert mit den lokalen Krümmungen der BSP-Elemente, führt zu einem neuartigen flächenaktiven Holztragwerk, das die entscheidenden horizontalen Windlasten trägt und dem Turm seine markante, gewundene Silhouette verleiht. Die Krümmung gibt den Bauteilen dabei zusätzliche Steifigkeit, ähnlich wie bei Wellblechen. Die Treppenspindel trägt die vertikalen Verkehrslasten auf den Stufen und unterstreicht durch die Verjüngung am Fußpunkt elegant die Lastverteilung zwischen der zentralen Spindel und der Hülle aus Holz. Computerbasierte Planungsmethoden, die das Materialverhalten und die Herstellungsbedingungen von Anfang an integrieren, sind das Kernstück des zukunftsweisenden Entwurfs und der hochpräzisen Umsetzung dieses Forschungsdemonstrators. Millimetergenaue Vorfertigung und präzisionsgefräste Verbindungsdetails ermöglichten die Montage vor Ort in nur drei Tagen und die nahtlose Integration der Stahltreppe, des Glasoberlichts und der Aussichtsplattform des Turms. Die leistungsfähige und ressourceneffiziente Holzkonstruktion erzeugt durch ihre markante Silhouette einen unverkennbaren architektonischen Ausdruck.
Planung und Produktion von selbstgeformten Holzbauteilen
Der Wangen Turm ist der weltweit erste begehbare Aussichtsturm, der gekrümmte großformatige Bauteile verwendet, die sich durch das Schwinden des Holzes selbsttätig formen. Für gewöhnlich werden das feuchtigkeitsbedingte Schwinden und Verformen als Nachteile des Baustoffes Holz betrachtet. Inspiriert von biologischen Vorbildern wie dem Fichtenzapfen, der auf wechselnde Umgebungsfeuchte mit der Formänderung seiner Schuppen reagiert, können ähnliche Prinzipien jedoch zur gezielten Formgebung von gebogenen Holzbauteilen eingesetzt werden. Hierbei wird die exakte Formveränderung hin zu einer vorgegebenen Zielkrümmung nur durch das charakteristische Schwinden des Holzes bei einer Abnahme des Holzfeuchtegehalts während des üblichen, industriellen Trocknungsprozesses angetrieben.
Für die Herstellung der selbstgeformten BSP-Bauteile wurde einheimisches Fichtenholz verwendet. Die selbstformenden doppelschichtigen Platten wurden als flache Paneele aus jeweils einer 30 Millimeter starken "aktiven" Schicht und einer kreuzweise verleimten 10 Millimeter dünnen "restriktiven" Schicht hergestellt. Im Gegensatz zur typischen industriellen Holzverarbeitung wurden die Bretter nur leicht luftgetrocknet verwendet. Die "aktive" Schicht mit höherem Feuchtigkeitsgehalt wurde in einer flachen Vakuumpresse mit der "restriktiven" Schicht verleimt. Nach dem Laminieren wurden die flachen Paneele einem kontrollierten Trocknungsprozess unterzogen, bei dem die aktive Schicht senkrecht zur Faserrichtung der Bretter schwindet, sodass sich die Paneele von selbst in die vorausberechnete Form biegen. Drei gekrümmte doppelschichtige Platten wurden überlappt und zusammen mit einer 10 Millimeter dünnen, elastisch gebogenen Sperrschicht verklebt, um die 130 Millimeter dünnen, formstabilen und präzise gekrümmten BSP-Rohlinge herzustellen.
Materialorientierter, ressourcenschonender Holzbau
Computerbasierte Entwurfs- und Simulationsmethoden, die das Materialverhalten von Beginn an berücksichtigen, sowie eine hochpräzise digitale Vorfertigung bilden die Grundlagen, um gekrümmte BSP-Platten für eine ressourceneffiziente, formaktive Holzstruktur zu nutzen. Die integrierten Holzverbindungen konnten so direkt aus dem digitalen Modell abgeleitet und mittels CNC-Fräsen präzise materialisiert werden. Jedes der zwölf 23 Meter langen Tragwerkssegmente des Turms besteht aus drei einzelnen BSP-Elementen, die 5-achsig CNC-gefräst und mit einer eigens entwickelten, in den Querschnitt eingelassenen Laschenverbindung präzise verbunden wurden, um durchgängige BSP-Elemente bei gleichbleibenden Querschnittsabmessungen zu ermöglichen. Die exakte Position und Geometrie der Verbindungen wurde so generiert, das gleichzeitig die Anforderungen der Statik wie auch der Fertigung optimiert und die Gesamtmenge des Materialverschnitts minimiert wurde.
Bereits in der Werkhalle wurden die zwölf Turmbauteile in Zweiergruppen vormontiert, wodurch die Bauzeit vor Ort entscheidend verkürzt werden konnte. Auch die schlanken Stahlverbinder, die das statische Bindeglied zwischen dem Holztragwerk und dem Treppenhaus darstellen, sowie die meisten der 168 Lärchenholzpaneele der Fassade wurden in der Fabrik vormontiert. Vor Ort konnten die Turmbauteile in nur drei Tagen auf ihrem Fundament aus Recyclingbeton mit CO2-reduziertem Zement aufgestellt werden. In den fertigen Holzrohbau wurden anschließend die Segmente der Spindeltreppe sowie die, sieben Meter überspannende, Aussichtsplattform von oben eingehoben.
Der Wangen Turm verkörpert in seiner charakteristischen Form und innovativen Bauweise einen zeitgemäßen architektonischen und konstruktiven Ausdruck des traditionellen Baumaterials Holz. Mit einer integrativen Herangehensweise an der Schnittstelle von Forschung, Handwerk und computerbasierter Planung und Vorfertigung, präsentiert sich der Wangen Turm als Vorreiter für effizientes, ökologisches und zugleich regionales Bauen.
PROJEKT TEAM
Exzellenzcluster IntCDC – Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur, Universität Stuttgart.
Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (ICD)
Prof. Achim Menges
Martin Alvarez, Monika Göbel, Laura Kiesewetter, David Stieler, Dr. Dylan Wood
Mit Unterstützung von: Gonzalo Muñoz Guerrero, Alina Turean, Aaron Wagner
Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen (ITKE)
Prof. Jan Knippers
Gregor Neubauer
Blumer-Lehmann AG
Katharina Lehmann, David Riggenbach, Jan Gantenbein
mit Biedenkapp Stahlbau GmbH
Markus Reischmann, Frank Jahr
Stadt Wangen im Allgäu
Landesgartenschau Wangen im Allgäu 2024
WEITERE PROJEKTBETEILIGTE
Wissenschaftliche Zusammenarbeit:
Professur für Forstnutzung Prof. Dr. Markus Rüggeberg, TU Dresden
Weitere beratende Ingenieure:
wbm Beratende Ingenieure
Dipl.-Ing. Dietmar Weber, Dipl.-Ing. (FH) Daniel Boneberg
Collins+Knieps Vermessungsingenieure
Frank Collins
Schöne Neue Welt Ingenieure GbR
Florian Scheible, Andreas Otto
lohrer.hochrein Landschaftsarchitekten DBLA
Baugenehmigung:
Prüfingenieur: Prof. Hans Joachim Blaß, Karlsruhe
Gutachter: MPA Stuttgart, Dr. Gerhard Dill Langer, Prof. Dr. Philipp Grönquist
Zusammenarbeit für Fundament:
Fischbach Bauunternehmen
PROJEKTFÖRDERUNG
DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft
Zukunft Bau – Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen / BBSR