Solar Gate

2023 | ICD Forschungsgebäude / Prototypen
Freiburg, Deutschland

Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung (Prof. Achim Menges)

Bilder von Conné van d'Grachten

Bilder von Roland Halbe

Bilder von ICD/IntCDC University of Stuttgart

Diagramme von ICD/IntCDC University of Stuttgart

Projekt Video
von ICD/IntCDC University of Stuttgart, Plant Biomechanics Group Freiburg

Solar Gate 2023

Bioinspirierte, wetterabhängige adaptive Verschattung

FIT Freiburger Zentrum für Interaktive Werkstoffe und Bioinspirierte Technologien, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 2023

Das Solar Gate ist ein wetterabhängiges Verschattungssystem, das auf dem nach Süden ausgerichteten Dachfenster der livMatS Biomimetic Shell installiert ist. Inspiriert von hygromorphen Prinzipien, die bei Kiefernzapfen beobachtet werden, erzeugt es eine adaptive Verschattung, ohne auf metabolische oder elektrische Energie angewiesen zu sein. Stattdessen nutzt das System bioinspirierte Mechanismen, welche die anisotrope Struktur von Zellulose in Pflanzengeweben nachahmen. Diese Mechanismen machen Gebrauch von 4D-Druckverfahren, was es Materialiensystemen erlaubt, in einem flachen Zustand gefertigt und so konfiguriert zu werden, dass sie sich über die Zeit, als Reaktion auf schwankende Temperatur und Luftfeuchtigkeit, in eine gewünschte Form versetzen. Im Winter wölben sich die selbstformenden Elemente nach oben um Sonnenlicht durchzulassen, während sie sich im Sommer abflachen, um direktes Sonnenlicht zu blockieren. Das System wird ausschließlich durch Schwankungen der Umgebung angetrieben und stellt eine energieautonome und ressourceneffiziente Alternative zu herkömmlichen Verschattungssystemen dar. Durch die Integration von bioinspiriertem Design, natürlichen Materialien und computergestützter Fertigung zeigt das Solar Gate, wie anpassungsfähige Fassaden die Funktionalität von Gebäuden verbessern und gleichzeitig die Energieabhängigkeit minimieren können. Das Projekt verdeutlicht das Potenzial von zugänglichen, kostengünstigen Technologien für adaptive architektonische Lösungen und ebnet den Weg für eine harmonische Interaktion zwischen Gebäuden und ihrer Umgebung.

Komfortstrategie und Sonnenschutz

Die livMatS Biomimetic Shell befindet sich in Freiburg, einem Ort mit gemäßigtem Klima der durch heiße, trockene Sommer und kalte, feuchte Winter gekennzeichnet ist, was die Handhabung von Sonnenwärme und die Regulierung der Innentemperatur des Gebäudes zu einem entscheidenden Faktor macht.

Das nach Süden ausgerichtete Solar Gate optimiert die Nutzung von Sonnenwärme im Winter und minimiert gleichzeitig übermäßige Einstrahlung im Sommer, indem es selbstformende Elemente integriert, die sich dynamisch an die Bewegung der Sonne im Laufe des Tages und der Jahreszeiten anpassen. Diese Elemente sind so programmiert, dass sie sich je nach jahreszeitlichem Sonnenstand öffnen und schließen, wodurch im Winter das Sonnenlicht in einem niedrigen Winkel einfällt, und für eine natürliche Erwärmung sorgt, während im Sommer das Sonnenlicht in einem hohen Winkel blockiert wird, um den Wärmegewinn zu minimieren.

Aufgehängt in einer schützenden, doppelwandigen Fassade, sind die Elemente vor direktem Regen und Wind geschützt, was einen zuverlässigen Betrieb gewährleistet und gleichzeitig die Reaktionsfähigkeit auf klimatische Veränderungen erhält. Die Komfortstrategie des Solar Gate trägt dazu bei, den Komfort der Bewohner zu verbessern und die Energieeffizienz der leichten Holzstruktur der livMatS Biomimetic Shell zu steigern.

Hygromorphes Werkstoffsystem

Zellulose, die auf der Erde am häufigsten vorkommende Biomasse, ist ein erneuerbares und äußerst vielseitiges organisches Material. Die Zellulosefasern weisen ein anisotropes Quell- und Schrumpfverhalten auf, welches als Reaktion auf die Feuchtigkeitsaufnahme oder -abgabe zu gerichteten Formänderungen führt. Dieses als Hygromorphie bezeichnete Phänomen tritt als Folge von Schwankungen der Luftfeuchtigkeit auf. Hygromorphe Funktionen sind in der Natur häufig zu beobachten, etwa beim dynamischen Öffnen und Schließen von Kiefernzapfen und der Blütenstände von Silberdisteln.

Inspiriert von den Doppelschichtstrukturen, die in den Schuppen solcher Zapfen zu finden sind, nutzt das Solar Gate solche hygromorphe Formveränderung durch ein speziell entwickeltes, mit Zellulosefasern angereichertes Filament für den 3D-Druck. Um die Ausrichtung der Zellulose-Mikrofibrillen in Kiefernzapfenschuppen zu imitieren, wird die aktive Schicht durch Extrudieren des quellfähigen Zellulosefilaments in der Richtung senkrecht zur Biegung gebildet, während die restriktive Schicht durch Extrudieren eines nicht quellfähigen Filaments in der Richtung der Biegung entsteht. Eine Gitterschicht verbessert die Haftung zwischen der aktiven und der restriktiven Schicht, und trägt dazu bei, eine Delamination zu verhindern. Durch die Interaktion zwischen der Zelluloseschicht und der nicht quellfähigen Schicht können sich die gedruckten hygromorphen Doppelschichtstrukturen bei Änderungen der Umgebungsfeuchtigkeit biegen, wodurch ein autonomes, wetterabhängiges Verschattungssystem entsteht.

Die Langzeitbeobachtung des Systems unter realen Bedingungen hat eine hohe Reaktionsfähigkeit und robuste Funktion des Materialsystems gezeigt, ohne dass es zu einer spürbaren Verringerung der Betätigung oder zu mechanischen Schäden durch natürliche Witterungseinflüsse gekommen ist. Weitere Tests unter kontrollierten Laborbedingungen haben gezeigt, dass das System sein reversibles und wiederholbares Bewegungsverhalten über zahlreiche Zyklen hinweg sowie bei zyklischer Betätigung und längerer UV-Exposition beibehält.

Durch den Codesign-Ansatz zwischen Biologen, Materialwissenschaftlern und Architekten, demonstriert das Solar Gate, wie die hygroskopischen Eigenschaften von Zellulose durch bioinspirierten 4D-Druck genutzt werden können, um nachhaltige und reaktionsschnelle Architekturlösungen zu entwickeln.

Skalierung des 4D-Druckverfahren

Das Solar Gate demonstriert einen skalierbaren Produktionsprozess für 4D-gedruckte Systeme. Insgesamt wurden 424 einzigartige selbstformende Module hergestellt die in 8 geometrisch unterschiedliche Fenstern mit einer Gesamtfläche von 9,37m² eingebaut wurden. Die gesamte Produktion wurde in 17 Tagen abgeschlossen, wobei vier 3D-Drucker täglich 10 Stunden in Betrieb waren. Jedes einzigartige Modul benötigte 20–25 Minuten für den Druck.

Für die Herstellung des gesamten Verschattungssystems wurden 5,5 kg Zellulosefilamente verwendet, was 0,65 kg/m² entspricht. Das Zellulose-Rohpulver kostet etwa 1,52€ pro Kilogramm, was zur Erschwinglichkeit des Verfahrens beiträgt. Nur 7% der Module mussten aufgrund kleinerer Defekte nachgedruckt werden, und 1,4% mussten nach Feuchtigkeitszyklustests ersetzt werden.

Die Herstellung der 424 einzigartigen Elemente wurde durch einen computergestützten Arbeitsablauf von Entwurf bis zur Fertigung erleichtert. Die spezifischen Geometrien und Bewegungsabläufe jedes Schattierungselements wurden in den 4D-Druck-Workflow eingegeben, der die Druckwege und den Maschinencode auf der Grundlage der Rollrichtung der Doppelklappenmodule generierte. Die Materialbahnen der reaktionsfähigen Schicht sind senkrecht zur Rollrichtung ausgerichtet, während die Bahnen der einschränkenden Schicht mit der Rollrichtung ausgerichtet sind.

Diese erfolgreiche Skalierung des 4D-Drucks zeigt, dass es möglich ist, selbstformende Strukturen zeit- und kosteneffizient herzustellen.

Architektonische Integration von Selbstgestaltungselementen

Nach unserer Kenntnis, ist das Solar Gate die erste Integration eines 4D-gedruckten, selbstformenden Systems in ein architektonisches Gebäude. Die Elemente sind in Aluminiumrahmen untergebracht, welche oben und unten mit Lüftungsöffnungen versehen sind, wodurch eine Luftzirkulation erleichtert und damit eine kontinuierliche Aussetzung an Umweltveränderungen gewährleistet wird, ohne die Belüftungsstrategie des Gebäudes zu stören. Die Elemente sind an nahezu unsichtbaren, in U-Profilen eingebetteten Aluminiumträgern aufgehängt, die mit Befestigungselementen an den Kastenrahmen gespannt sind. Die Aluminium-Kastenrahmen sind an der Stahlfassade des Gebäudes befestigt, welche mit Doppelglasscheiben zur Wärmedämmung ausgestattet ist. Bedienbare Fenster mit Einfachverglasung und UV-Schutzfolie sorgen für weitere Kontrolle der Wärmezufuhr.

Die Lüftungsöffnungen ermöglichen eine Anpassung der Klimabedingungen innerhalb des Kastensystems der Verschattungselemente, so dass deren Umgebung entweder ausgeglichen oder von äußeren Bedingungen isoliert werden kann. Die Kombination aus passiver Verschattung und aktiver Klimaregulierung verringert die Abhängigkeit von mechanischen Systemen und verbessert die Anpassungsfähigkeit. Jedes Fenster verfügt über eine eingebettete Datenerfassungsinfrastruktur zur kontinuierlichen Überwachung der Verschattungsleistung und ermöglicht eine langfristige Optimierung, die sicherstellt, dass die bioinspirierten Mechanismen als Reaktion auf wechselnde Klimabedingungen effizient funktionieren.

Solar Gate ist somit ein Beispiel dafür, wie nachhaltige, anpassungsfähige Lösungen in die gebaute Umwelt integriert werden können, und ebnet den Weg für eine widerstandsfähigere und umweltbewusstere Zukunft.

PROJEKT TEAM

Exzellenzcluster IntCDC – Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur, Universität Stuttgart

ICD Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung
Prof. Achim Menges, Dylan Wood, Tiffany Cheng, Ekin Sila Sahin, Yasaman Tahouni

Mit Unterstützung von: 
Fabian Eidner, August Lehrecke, Oliver Moldow, Selin Sevim, Aaron Wagner, Esra Yaman (ICD); Aleksa Arsic, Dennis Bartl, Sebastian Esser, Sven Hänzka, Sergej Klassen, Hendrik Köhler, Kai Stiefenhofer (IntCDC Large Scale Construction Robotics Laboratory)

IKT Institut für Kunststofftechnik
Prof. Dr. Christian Bonten, Silvia Lajewski

Exzellenzcluster livMatS – Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems, Albert-Ludwigs-Universitat Freiburg
Prof. Dr. Jürgen Rühe, Prof. Dr. Thomas Speck, Kim Ulrich

 

PROJEKTFÖRDERUNG
DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft

Universität Stuttgart – Interne Fördermittel für Wissens- und Technologietransfer 

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