Hybrid-Flachs Pavillon
Landesgartenschau Wangen im Allgäu, 2024
Der Hybrid-Flachs Pavillon ist ein zentraler Ausstellungsbau auf dem Landesgartenschaugelände, umgeben vom renaturierten Flusslauf der Argen. Der Pavillon zeigt erstmals eine Holz-Naturfaser-Hybridkonstruktion als Alternative zu konventionellen Bauweisen, die am Exzellenzcluster „Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur (IntCDC) erforscht wird. Die in dieser Form einzigartige Konstruktion kombiniert schlanke Brettsperrhölzer mit robotisch gewickelten Flachsfaserkörpern in einem neuartigen, ressourcenschonenden Tragsystem aus regionalen, biobasierten Bauwerkstoffen mit einem besonderen örtlichen Bezug. So wurde Flachs vormals in der örtlichen Textilindustrie verarbeitet, deren altes Spinnereigelände im Zuge der Landesgartenschau saniert wurde. Die wellenartige Dachkonstruktion bietet, gemeinsam mit dem kreisförmigen Grundriss und dem zentral angeordneten Klimagarten, einen tiefen, fließend in die Landschaft übergehenden Raum. Die durch Erdwärme aktivierbare Bodenplatte aus Recyclingbeton ermöglicht eine ganzjährig komfortable Nutzung des dauerhaft angelegten Gebäudes.
Ein dauerhaftes Ausstellungsgebäude zur Demonstration neuartiger biobasierter Baumethoden
Der Hybrid-Flachs Pavillon befindet sich inmitten der Schaugärten der Landesgartenschau und umschließt einen zentralen Ausstellungsraum. Seine Form und Gestalt zeichnet sich durch das prägnante, wellenförmige Dach und umlaufende Glasfassaden aus und lädt Besucher aus allen Richtungen kommend in den großflächigen Innenraum ein. Die vollständig transparente Hülle ermöglicht eine beeindruckende Rundumsicht und sorgt für einen fließenden Übergang zwischen Innen und Außen. Angelehnt an den geschwungenen Argen-Flusslauf schafft das wellenförmige Dach kontinuierliche, sich graduell verändernde Raumzonen und vermittelt ein Gefühl von Weite über die Gebäudehülle hinaus. Das Herzstück des Bauwerks ist ein Klimagarten, der als Innenhof dient und eine natürliche Querlüftung und Kühlung ermöglicht. Zusammen mit einer geothermisch aktivierten Bodenplatte aus recyceltem Beton und CO2-reduziertem Zement sorgt dies für ganzjährigen Innenraumkomfort bei minimaler Haustechnik.
Das Dach des Pavillons stellt die weltweit erste Hybridkonstruktion aus Brettsperrholzplatten und Naturfaserkörpern dar, die durch kernloses Wickeln von Flachsfasern hergestellt wurde. Die 20 Hybridbauteile wechseln sich mit herkömmlichen Holzelementen ab und bilden die charakteristische wellenförmige Struktur des Daches, das die 380 m² große Ausstellungsfläche überspannt. Ziel dieses neuartigen hybriden Bausystems ist es, einen weitläufigen stützenfreien Raum zu schaffen und gleichzeitig den Materialeinsatz zu minimieren, indem die Synergie zwischen Holz und Naturfaserverbundstoffen genutzt wird. Die Vor-Ort-Montage aller 44 Deckenelemente wurde dank praxisnaher, interdisziplinärer Planung und der hochpräzisen Vorfertigung in 8 Tagen abgeschlossen.
Der digitale Entwurf des Gebäudes basiert auf integrativen computerbasierten Planungsmethoden, die die Expertise verschiedener am Projekt beteiligter Fachdisziplinen früh in den Planungsprozess einbinden und vereinen - wodurch sich der Kreis zwischen Forschung und Industrie schließt. Dieser Ansatz umfasst nicht nur die Gestaltung der hybriden Faser-Holz-Komponenten, sondern berücksichtigt auch die Schnittstellen zu konventionellen Bauelementen wie Fassade und Dach, insbesondere in Hinblick auf deren geometrischen und konstruktiven Anforderungen. Diese Methodik erlaubt einen flexiblen, iterativen Entwurfsprozess, der in jeder Phase der Entwicklung Anpassungen und Optimierungen in allen beteiligten Disziplinen zulässt. Infolgedessen dauerte der gesamte Planungs-, Fertigungs- und Bauprozess nur 12 Monate, was die Effektivität des integrativen Co-Design-Ansatzes unter Beweis stellt. Im Sinne eines wechselseitigen, interdisziplinären Wissenstransfers zwischen Forschung und Bauunternehmen zeigt das Gebäude auch, wie hochinnovative Architektur von regionalen, kleinen Unternehmen und Handwerkern gebaut werden kann.
Innovatives Hybrid-Bausystem aus Naturfasern
Das Faser-Holz-Hybridsystem nutzt die spezifischen Eigenschaften von Holz und natürlichen Fasern und ermöglicht besonders leichte, effiziente Bauteile mit hervorragender Leistungsfähigkeit. Der Einsatz von Flachsfaserkomponenten zur Verstärkung der schlanken Holzplatten erlaubt es die Vorteile schnell nachwachsender Ressourcen für die Bauindustrie zu nutzen und zeigt auf, wie der signifikante Bedarf an Bauholz effektiver aus lokal verfügbaren Beständen gedeckt werden kann. Das Bausystem wurde als zirkuläre Bauweise entwickelt, indem es eine zukünftige Materialwiederverwendung und -Verwertung durch die sortenreine Zerlegung der Hybridkomponenten in ihre Einzelteile ermöglicht. Durch eine graduelle Ausdifferenzierung der Faserkomponenten werden die unterschiedlichen, statisch erforderlichen Eigenschaften erreicht. Der Faserkörper bildet eine Fläche, die hauptsächlich Zuglasten trägt, während die Holzplatte Druckkräfte aufnimmt und die Oberfläche für den Raumabschluss und Dachaufbau bildet. Zusammen bieten sie die erforderliche Festigkeit und Steifigkeit, um die hohen Schneelasten am Alpenrand zu tragen.
Während des Forschungs- und Entwicklungsprozesses wurde der Entwurf des Faserkörpers kontinuierlich durch Rückkopplung zwischen architektonischen Anforderungen, statischer Analyse, Einschränkungen aus der Fertigung und Materialeigenschaften entwickelt. Er besteht aus mehreren sequenziell gewickelten Flachsfaserlagen. Die primäre Faserstruktur, die sogenannte “Spine” wirkt als zentraler Unterzug von innen nach außen. Die Fächerlage verteilt die Lasten gleichmäßig auf die Stützen, während die optisch dominierenden Gitternetzschichten ein gleichmäßiges Fasernetz bilden, um die erforderliche strukturelle Integrität zu erreichen. Zwei zusätzliche Eckverstärkungslagen verbessern die Faserinteraktion und bieten zusätzliche Verstärkung in strukturell kritischen Bereichen.
Die Faser-Holz-Hybridkomponenten überbrücken eine Spannweite von 8,6 Metern zwischen den Stützen entlang der beiden Fassaden. Die radial angeordneten 120 mm dicken kreuzverleimten Holzplatten erzeugen die wellenförmige Dachfläche. Die Holzplatten wurden mit einer 5-Achs-Fräsmaschine hergestellt und enthalten eine Reihe von Aussparungen für die Verbindungen zwischen Holz, Faser und Fassade sowie abgeschrägte Kanten, die kontinuierlich ihren Winkel ändern, um den variierenden Orientierungen der Faserverbindungen zu entsprechen. Die Flachsfaserkörper werden mit Schrauben unter jeder zweiten CLT-Platte befestigt und bilden so die Hybridkomponenten. Statische Belastungstests dienten zur Kalibrierung der Finite-Elemente-Modelle und zur Überprüfung der Tragfähigkeit des Bausystems.
Von der robotergestützten Prototypenentwicklung zum industriellen Faserwickeln
Der kernlose Faserwickelprozess, der bei der Entwicklung und Produktion der Faserelemente verwendet wird, ermöglicht einen lokal angepassten Materialauftrag, der durch die spezifischen Anforderungen von Statik, Architektur und Materialgesteuert wird. Im Gegensatz zu konventionellen Herstellungsprozessen für Faserverbundwerkstoffe wird dies ohne eine Schalung erreicht, da der Wickelrahmen gemeinsam mit dem Faserelement entworfen wird, und der endgültige Faserkörper im Wickelprozess als Folge der Interaktion der Fasern entsteht. Für dieses Projekt war eine Anpassung des kernlosen Faserwickelprozesses erforderlich, um das natürliche Flachsfasermaterialsystem und die einzigartige Geometrie des Faserkörpers zu ermöglichen. Normalerweise sind positive Krümmungen nur durch eine zusätzliche Form herstellbar, doch dieses Bauteil beinhaltet sowohl Bereiche positiver als auch negativer Gaußscher Krümmung. Um dies zu erreichen, enthält der Wickelrahmen eine Art Rückgrat oder auch “Spine” genannt, welche die positive Krümmung des Bauteils in seiner Längsrichtung sowie negative Krümmung, strukturelle Tiefe und Krümmungsradius in seinem Querschnitt ermöglicht, während es gleichzeitig die notwendige Struktur für den selbsttragenden Rahmen darstellt. Die Wickelankerpunkte um den Umfang des Rahmens wurden jeweils basierend auf der Normalen der Oberfläche orientiert, um eine konsistente Faserrichtung zu gewährleisten und Kräfte ordnungsgemäß von Holz in die Faserbündel zu übertragen - eine Anforderung, die für die Leistungsfähigkeit der Hybridkomponente von entscheidender Bedeutung ist.
Unter Verwendung dieses maßgefertigten Rahmens wurden Geometrie, Faserstrukturen und Herstellungsprozesse an der Universität Stuttgart durch eine Reihe von Prototypen entwickelt, getestet und von einem 6-Achs-Roboterarm mit einem spezifisch hierfür entwickelten Endeffektor gefertigt. Nach Abschluss der Prototypenphase einschließlich der statischen Versuche wurde der finalisierte Entwurf an den Industriepartner übergeben, um die Serienproduktion mit einer industriellen 5-Achs-Faserwickelmaschine durchzuführen. Die Fertigungsplanung wurde direkt in den computerbasierten Entwurfsprozess integriert und eine speziell entwickelte Software wandelte die geometrischen Daten des Faserelements in einen ausführbaren Maschinencode um, wodurch der Prozess vom Entwurf zur Fertigung optimiert und erfolgreich die Lücke zwischen Forschung und Industrie überbrückt wurde.
Die Forschung an durch integrative digitale Planung und Fertigung ermöglichte, bio-basierte Hybrid-Bausysteme wird an der Universität Stuttgart im Rahmen des Exzellenzclusters "Integrative Computational Design and Construction for Architecture" fortgesetzt.
PROJEKT PARTNER
Exzellenzcluster IntCDC - Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur, Universität Stuttgart
ICD Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung
Prof. Achim Menges, Rebeca Duque Estrada, Monika Göbel, Harrison Hildebrandt, Fabian Kannenberg, Christoph Schlopschnat, Christoph Zechmeister
ITKE Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen
Prof. Dr. Jan Knippers, Tzu-Ying Chen, Gregor Neubauer, Marta Gil Pérez, Renan Prandini, Valentin Wagner,
mit Unterstützung von: Daniel Bozo, Minghui Chen, Peter Ehvert, Alan Eskildsen, Alice Fleury, Sebastian Hügle, Niki Kentroti, Timo König, Laura Marsillo, Pascal Mindermann, Ivana Trifunovic, Weiqi Xie
Landesgartenschau Wangen im Allgäu 2024
Karl-Eugen Ebertshäuser, Hubert Meßmer
Stadt Wangen im Allgäu
HA-CO Carbon GmbH
Siegbert Pachner, Dr. Oliver Fischer, Danny Hummel
STERK abbundzentrum GmbH
Klaus Sterk, Franz Zodel, Simon Sterk
FoWaTec GmbH
Sebastian Forster
Biedenkapp Stahlbau GmbH
Stefan Weidle, Markus Reischmann, Frank Jahr
Harald Klein Erdbewegungen GmbH
PROJEKT KOOPERATIONEN
Wissenschaftliche Kooperation:
IntCDC Large Scale Construction Laboratory
Sebastian Esser, Sven Hänzka, Hendrik Köhler, Sergej Klassen
Weitere beratende Ingenieure:
Belzner Holmes und Partner Light-Design
Dipl.-Ing. (FH) Thomas Hollubarsch, Victoria Coval
BiB Concept
Dipl.-Ing. Mathias Langhoff
Collins+Knieps Vermessungsingenieure
Frank Collins, Edgar Knieps
Moräne GmbH - Geotechnik Bohrtechnik
Luis Ulrich M.Sc.
Spektrum Bauphysik & Bauökologie
Dipl.-Ing. (FH) Markus Götzelmann
wbm Beratende Ingenieure
Dipl.-Ing. Dietmar Weber, Dipl.-Ing. (FH) Daniel Boneberg
lohrer.hochrein Landschaftsarchitekten DBLA
Baugenehmigung:
Landesstelle für Bautechnik
Dr. Stefan Brendler, Dipl.-Ing. Steffen Schneider
Prüfingenieur
Prof. Dr.-Ing. Hans Joachim Blaß, Dr.-Ing. Marcus Flaig
Versuchsanstalt für Stahl, Holz und Steine, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Prof. Dr.-Ing. Thomas Ummenhofer, Dipl.-Ing. Jörg Schmied
MPA-Materialprüfungsanstalt, Universität Stuttgart
Melissa Lücking M.Sc., Dipl.-Ing (FH) Frank Waibel
Baukooperation
ARGE- Leistungsbereich Wärmeversorgungs- und Mittelspannanlagen
Franz Miller OHG
Stauber + Steib GmbH
PROJEKT UNTERSTÜTZUNG
DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft
Dieses Projekt wurde durch das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg unterstützt.
Bioökonomie Baden-Württemberg: Forschung- und Entwicklung (FuE) Förderprogramm “Nachhaltige Bioökonomie als Innovationsmotor für den Ländlichen Raum”
Holz Innovativ Programm (HIP), Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg
IFB Institut für Flugzeugbau, Universität Stuttgart
ISW Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen, Universität Stuttgart